Faust

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Auerbachs Keller in Leipzig

Zeche lustiger Gesellen.
Frosch
Will keiner trinken? keiner lachen?
Ich will euch lehren Gesichter machen!
Ihr seid ja heut wie nasses Stroh,
Und brennt sonst immer lichterloh.



2075

Brander
Das liegt an dir; du bringst ja nichts herbei,
Nicht eine Dummheit, keine Sauerei.



Frosch (giesst ihm ein Glas Wein über den Kopf)
Da hast du beides!


Brander
Doppelt Schwein!


Frosch
Ihr wollt es ja, man soll es sein!

2080
Siebel
Zur Tür hinaus, er sich entzweit!
Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreit!
Auf! Holla! Ho!




Altmayer
Weh mir, ich bin verloren!
Baumwolle her! der Kerl sprengt mir die Ohren.



Siebel
Wenn das Gewölbe widerschallt,
Fühlt man erst recht des Basses Grundgewalt.

2085

Frosch
So recht, hinaus mit dem, der etwas übel nimmt!
A! tara lara da!



Altmayer
A! tara lara da!


Frosch
Die Kehlen sind gestimmt.
(Singt.) Das liebe Heil'ge Röm'sche Reich,
Wie hält's nur noch zusammen?


2090

Brander
Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied
Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen,
Daß ihr nicht braucht fürs Röm'sche Reich zu sorgen!
Ich halt es wenigstens für reichlichen Gewinn,
Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.
Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht fehlen;
Wir wollen einen Papst erwählen.
Ihr wißt, welch eine Qualität
Den Ausschlag gibt, den Mann erhöht.




2095




2100
Frosch (singt)
Schwing dich auf, Frau Nachtigall,
Grüß mir mein Liebchen zehentausendmal.



Siebel
Dem Liebchen keinen Gruß! ich will davon nichts hören!


Frosch
Dem Liebchen Gruß und Kuß! du wirst mir's nicht verwehren!
(Singt.) Riegel auf! in stiller Nacht.
Riegel auf! der Liebste wacht.
Riegel zu! des Morgens früh.


2105


Siebel
Ja, singe, singe nur und lob und rühme sie!
Ich will zu meiner Zeit schon lachen.
Sie hat mich angeführt, dir wird sie's auch so machen.
Zum Liebsten sei ein Kobold ihr beschert!
Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern;
Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt,
Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!
Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut
Ist für die Dirne viel zu gut.
Ich will von keinem Gruße wissen,
Als ihr die Fenster eingeschmissen



2110




2115



Brander (auf den Tisch schlagend)
Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
Ihr Herrn, gesteht, ich weiß zu leben
Verliebte Leute sitzen hier,
Und diesen muß, nach Standsgebühr,
Zur guten Nacht ich was zum besten geben.
Gebt acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!
Und singt den Rundreim kräftig mit!
(Er singt.) Es war eine Ratt im Kellernest,
Lebte nur von Fett und Butter,
Hatte sich ein Ränzlein angemäst't,
Als wie der Doktor Luther.
Die Köchin hatt ihr Gift gestellt;
Da ward's so eng ihr in der Welt,
Als hätte sie Lieb im Leibe.


2120




2125




2130


Chorus (jauchzend)
Als hätte sie Lieb im Leibe.


Brander
Sie fuhr herum, sie fuhr heraus,
Und soff aus allen Pfützen,
Zernagt', zerkratzt, das ganze Haus,
Wollte nichts ihr Wüten nützen;
Sie tät gar manchen Ängstesprung,
Bald hatte das arme Tier genung,
Als hätt es Lieb im Leibe.


2135




2140
Chorus
Als hätt es Lieb im Leibe.


Brander
Sie kam vor Angst am hellen Tag
Der Küche zugelaufen,
Fiel an den Herd und zuckt, und lag,
Und tät erbärmlich schnaufen.
Da lachte die Vergifterin noch:
Ha! sie pfeift auf dem letzten Loch,
Als hätte sie Lieb im Leibe.




2145



Chorus
Als hätte sie Lieb im Leibe.


Siebel
Wie sich die platten Bursche freuen!
Es ist mir eine rechte Kunst,
Den armen Ratten Gift zu streuen!

2150


Brander
Sie stehn wohl sehr in deiner Gunst?


Altmayer
Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!
Das Unglück macht ihn zahm und mild;
Er sieht in der geschwollnen Ratte
Sein ganz natürlich Ebenbild


2155


Faust und Mephistopheles treten auf

Mephistopheles
Ich muß dich nun vor allen Dingen
In lustige Gesellschaft bringen,
Damit du siehst, wie leicht sich's leben läßt.
Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
Mit wenig Witz und viel Behagen
Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,
Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,
So lang der Wirt nur weiter borgt,
Sind sie vergnügt und unbesorgt.



2160




2165


Brander
Die kommen eben von der Reise,
Man sieht's an ihrer wunderlichen Weise;
Sie sind nicht eine Stunde hier.



2170
Frosch
Wahrhaftig, du hast recht! Mein Leipzig lob ich mir!
Es ist ein klein Paris, und bildet seine Leute.



Siebel
Für was siehst du die Fremden an?


Frosch
Laß mich nur gehn! Bei einem vollen Glase
Zieh ich, wie einen Kinderzahn,
Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase.
Sie scheinen mir aus einem edlen Haus,
Sie sehen stolz und unzufrieden aus.


2175



Brander
Marktschreier sind's gewiß, ich wette!


Altmayer
Vielleicht.

2180
Frosch
Gib acht, ich schraube sie!


Mephistopheles (zu Faust)
Den Teufel spürt das Völkchen nie,
Und wenn er sie beim Kragen hätte.



Faust
Seid uns gegrüßt, ihr Herrn!


Siebel
Viel Dank zum Gegengruß.
(Leise, Mephistopheles von der Seite ansehend.)
Was hinkt der Kerl auf einem Fuß?




Mephistopheles
Ist es erlaubt, uns auch zu euch zu setzen?
Statt eines guten Trunks, den man nicht haben kann
Soll die Gesellschaft uns ergetzen.

2185


Altmayer
Ihr scheint ein sehr verwöhnter Mann.


Frosch
Ihr seid wohl spät von Rippach aufgebrochen?
Habt ihr mit Herren Hans noch erst zu Nacht gespeist?


2190
Mephistopheles
Heut sind wir ihn vorbeigereist!
Wir haben ihn das letztemal gesprochen.
Von seinen Vettern wußt er viel zu sagen,
Viel Grüße hat er uns an jeden aufgetragen.
(Er neigt sich gegen Frosch.)






Altmayer (leise)
Da hast du's! der versteht's!

2195
Siebel
Ein pfiffiger Patron!


Frosch
Nun, warte nur, ich krieg ihn schon!


Mephistopheles
Wenn ich nicht irrte, hörten wir
Geübte Stimmen Chorus singen?
Gewiß, Gesang muß trefflich hier
Von dieser Wölbung widerklingen!




2200
Frosch
Seid Ihr wohrgar ein Virtuos?


Mephistopheles
O nein! die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß.


Altmayer
Gebt uns ein Lied!


Mephistopheles
Wenn ihr begehrt, die Menge.


Siebel
Nur auch ein nagelneues Stück!


Mephistopheles
Wir kommen erst aus Spanien zurück,
Dem schönen Land des Weins und der Gesänge.
(Singt). Es war einmal ein König,
Der hatt einen großen Floh-

2205



Frosch
Horcht! Einen Froh! Habt ihr das wohl gefaßt?
Ein Floh ist mir ein saubrer Gast.


2210
Mephistopheles (singt)
Es war einmal ein König
Der hatt einen großen Floh,
Den liebt, er gar nicht wenig,
Als wie seinen eignen Sohn.
Da rief er seinen Schneider,
Der Schneider kam heran:
Da, miß dem Junker Kleider
Und miß ihm Hosen an!





2215



Brander
Vergeßt nur nicht, dem Schneider einzuschärfen,
Daß er mir aufs genauste mißt,
Und daß, so lieb sein Kopf ihm ist,
Die Hosen keine Falten werfen!


2220


Mephistopheles
In Sammet und in Seide
War er nun angetan
Hatte Bänder auf dem Kleide,
Hatt auch ein Kreuz daran
Und war sogleich Minister,
Und hatt einen großen Stern.
Da wurden seine Geschwister
Bei Hof auch große Herrn.

Und Herrn und Fraun am Hofe,
Die waren sehr geplagt,
Die Königin und die Zofe
Gestochen und genagt,
Und durften sie nicht knicken,
Und weg sie jucken nicht.
Wir knicken und ersticken
Doch gleich, wenn einer sticht.



2225




2230





2235



Chorus (jauchzend)
Wir knicken und ersticken
Doch gleich, wenn einer sticht.


2240
Frosch
Bravo! Bravo! Das war schön!


Siebel
So soll es jedem Floh ergehn!


Brander
Spitzt die Finger und packt sie fein!


Altmayer
Es lebe die Freiheit! Es lebe der Wein!


Mephistopheles
Ich tränke gern ein Glas, die Freiheit hoch zu ehren,
Wenn eure Weine nur ein bißchen besser wären.

2245

Siebel
Wir mögen das nicht wieder hören!


Mephistopheles
Ich fürchte nur, der Wirt beschweret sich;
Sonst gäb ich diesen werten Gästen
Aus unserm Keller was zum besten.



2250
Siebel
Nur immer her! ich nehm's auf mich.


Frosch
Schafft Ihr ein gutes Glas, so wollen wir Euch loben.
Nur gebt nicht gar zu kleine Proben
Denn wenn ich judizieren soll,
Verlang ich auch das Maul recht voll.




2255
Altmayer (leise)
Sie sind vom Rheine, wie ich spüre.


Mephistopheles
Schafft einen Bohrer an!


Brander
Was soll mit dem geschehn?
Ihr habt doch nicht die Fässer vor der Türe?



Altmayer
Dahinten hat der Wirt ein Körbchen Werkzeug stehn.


Mephistopheles (nimmt den Bohrer. Zu Frosch)
Nun sagt, was wünschet Ihr zu schmecken?

2260
Frosch
Wie meint Ihr das? Habt Ihr so mancherlei?


Mephistopheles
Ich stell es einem jeden frei.


Altmayer (zu Frosch)
Aha! du fängst schon an, die Lippen abzulecken.


Frosch
Gut! wenn ich wählen soll, so will ich Rheinwein haben.
Das Vaterland verleiht die allerbesten Gaben.


2265
Mephistopheles (indem er an dem Platz, wo Frosch
sitzt, ein Loch in den Tischrand bohrt)

Verschafft ein wenig Wachs, die Pfropfen gleich zu machen!



Altmayer
Ach, das sind Taschenspielersachen.


Mephistopheles (zu Brander)
Und Ihr?


Brander
Ich will Champagner Wein,
Und recht moussierend soll er sein!



Mephistopheles (bohrt; einer hat indessen die
Wachspfropfen gemacht und verstopft.)



Brander
Man kann nicht stets das Fremde meiden
Das Gute liegt uns oft so fern.
Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
Doch ihre Weine trinkt er gern.

2270



Siebel (indem sich Mephistopheles seinem Platze nähert)
Ich muß gestehn, den sauern mag ich nicht,
Gebt mir ein Glas vom echten süßen!


2275
Mephistopheles (bohrt)
Euch soll sogleich Tokayer fließen.


Altmayer
Nein, Herren, seht mir ins Gesicht!
Ich seh es ein, ihr habt uns nur zum besten.



Mephistopheles
Ei! Ei! Mit solchen edlen Gästen
Wär es ein bißchen viel gewagt.
Geschwind! Nur grad heraus gesagt!
Mit welchem Weine kann ich dienen?


2280


Altmayer
Mit jedem! Nur nicht lang gefragt.
(Nachdem die Löcher alle gebohrt und verstopft sind.)



Mephistopheles (mit seltsamen Gebärden)
Trauben trägt der Weinstock!
Hörner der Ziegenbock;
Der Wein ist saftig, Holz die Reben,
Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben.
Ein tiefer Blick in die Natur!
Hier ist ein Wunder, glaubet nur!
Nun zieht die Pfropfen und genießt!


2285




2290
Alle (indem sie die Pfropfen ziehen
und jedem der verlangte Wein ins Glas läuft)

O schöner Brunnen, der uns fließt!



Mephistopheles
Nur hütet euch, daß ihr mir nichts vergießt!
(Sie trinken wiederholt.)



Alle (singen)
Uns ist ganz kannibalisch wohl,
Als wie fünfhundert Säuen!



Mephistopheles
Das Volk ist frei, seht an, wie wohl's ihm geht!

2295
Faust
Ich hätte Lust, nun abzufahren.


Mephistopheles
Gib nur erst acht, die Bestialität
Wird sich gar herrlich offenbaren.



Siebel (trinkt unvorsichtig, der Wein fließt
auf die Erde und wird zur Flamme)

Helft! Feuer! helft! Die Hölle brennt!



Mephistopheles (die Flamme besprechend)
Sei ruhig, freundlich Element!(Zu den Gesellen.)
Für diesmal war es nur ein Tropfen Fegefeuer.

2300

Siebel
Was soll das sein? Wart! Ihr bezahlt es teuer!
Es scheinet, daß Ihr uns nicht kennt.



Frosch
Laß Er uns das zum zweiten Male bleiben!


Altmayer
Ich dächt, wir hießen ihn ganz sachte seitwärts gehn.

2305
Siebel
Was, Herr? Er will sich unterstehn,
Und hier sein Hokuspokus treiben?



Mephistopheles
Still, altes Weinfaß!


Siebel
Besenstiel! Du willst uns gar noch grob begegnen?


Brander
Wart nur, es sollen Schläge regnen!

2310
Altmayer (zieht einen Pfropf aus dem
Tisch, es springt ihm Feuer entgegen)

Ich brenne! ich brenne!
Stoßt zu! der Kerl ist vogelfrei!
(Sie ziehen die Messer und gehn auf Mephistopheles los.)





Mephistopheles (mit ernsthafter Gebärde)
Falsch Gebild und Wort
Verändern Sinn und Ort!
Seid hier und dort!
(Sie stehn erstaunt und sehn einander an.)



2315

Altmayer
Wo bin ich? Welches schöne Land!


Frosch
Weinberge! Seh ich recht?


Siebel
Und Trauben gleich zur Hand!


Brander
Hier unter diesem grünen Laube,
Seht, welch ein Stock! Seht, welche Traube!
(Er faßt Siebeln bei der Nase. Die andern tun
es wechselseitig und heben die Messer.)





Mephistopheles (wie oben)
Irrtum, laß los der Augen Band!
Und merkt euch, wie der Teufel spaße.
(Er verschwindet mit Faust, die Gesellen fahren auseinander.)

2320


Siebel
Was gibt's?


Altmayer
Wie?


Frosch
War das deine Nase?


Brander (zu Siebel)
Und deine hab ich in der Hand!


Altmayer
Es war ein Schlag, der ging durch alle Glieder!
Schafft einen Stuhl, ich sinke nieder!


2325
Frosch
Nein, sagt mir nur, was ist geschehn?


Frosch
Wo ist der Kerl? Wenn ich ihn spüre,
Er soll mir nicht lebendig gehn!



Altmayer
Ich hab ihn selbst hinaus zur Kellertüre-
Auf einem Fasse reiten sehn--
Es liegt mir bleischwer in den Füßen.
(Sich nach dem Tische wendend.)
Mein! Sollte wohl der Wein noch fließen?


2330



Siebel
Betrug war alles, Lug und Schein.


Frosch
Mir deuchte doch, als tränk ich Wein.


Brander
Aber wie war es mit den Trauben?

2335
Altmayer
Nun sag mir eins, man soll kein Wunder glauben!